BERNSTEINQUELLE

 

Ingrid Flohry / Marco Glashagen „Bernsteinquelle“ 2023
Mit der Arbeit „Excursion“ war zum zweiten Mal, diesmal in Kooperation mit Marco Glashagen, eine Stelle im Hugenottenhaus im Fokus meiner Arbeit, die den Bereich des ehemaligen landgräflichen Palais, später den Übergang zum Hotel Hessenland, bildete. Dieser Teil des Gebäudes ist in seinem Ursprung dem ehemaligen Palais zuzuordnen, gehört also eigentlich nicht zum Hugenottenhaus. Diesen Teil des Flures, zu bearbeiten heißt, die Frage nach der Zuordnung zu stellen, denn hier findet eine zeitliche und räumliche Verschiebung statt. Diesseits des zugemauerten Durchgang zum Hotel befindet man sich demnach eigentlich in einem Teil des ehemaligen Palais, jetzt Hugenottenhaus, hinter der Mauer befindet sich der anderen Teil des ehemaligen Palais nur noch als Geschichte wahrnehmbar. Räumlich in der Höhe verschoben und ehemals über die noch immer vorhande Stufe zu erreichen, ist dort das Hotel Hessenland gegenwärtig.
Sind also, wie in der Arbeit „Amygdala, Amygdala!“ von 2019 angedeutet, noch weitere Raum-Zeit-Verschiebungen denkbar? Künstlerisch auf jeden Fall sogar notwendig, auch,um die Position des Hugenottenhauses als Schlüssel zur Vergangenheit und als Anker für die Zukunft zu festigen.
Was passiert, wenn weitere Dimensionen hinzu kommen? Künstlerisch gedacht sind sie bereits da, das „was wäre, wenn…“ ist in der Kunst nicht die Frage. So gesehen sind alle denkbaren geschichtlichen, räumlichen, fiktiven und zukünftigen Schichten gleichermaßen, also parallel vorstellbar und im künstlerischen Denk-Kosmos auch vorhanden.
Eine Raum-Zeit-Diskrepanz war auch Grundlage der Installation „Nichts ist am Platz“ von 2021, entstanden in Zusammenarbeit mit Marco Glashagen, die in einem ehemaligen Wohnraum im 2.OG des historischen Hugenottenhauses umgesetzt wurde. Der Titel der Gemeinschaftsausstellung lautete „Doppelzimmer“ und nimmt, wie auch der Titel „Freie Zimmer“ des Vorjahres, Bezug auf die Zeitspanne, in der das Haus als Hotel genutzt wurde. Die Installation verschiebt, einen Traum suggerierend, die Geschosshöhen in Anlehnung an den Höhenversprung im einstigen Übergang zum Hotel Hessenland im 1.OG. Durch die auf halber Höhe angebrachten stilisierten Betten, die anscheinend durch einen Wirbel angetrieben, im realen Raum schweben, in dem Decken-Boden gespiegelt vertauscht sind und der fluid gestaltete, durchdringbare Wände zu besitzen scheint. Die Parallelität verschiedener Ereignisse scheint gegeben. Ein Paradox, Dinge und Ereignisse sind gleichzeitig da und wiederum nicht da.
Eine Fortführung der Geschichte wird mit dem künstlerischen Beitrag zur Ausstellung 2023 mit dem Titel „Bernsteinzimmer“ geschrieben. Nicht nur der Grundstoff, der Bernstein, ist mythologisch behaftet, auch das Bernsteinzimmer selbst ist zu einem Mythos geworden. Vielfach wurde es baulich verändert, erweitert, an verschiedenen Orten auf- und wieder abgebaut. Nach einem letzten Abbau war es nicht mehr auffindbar und wurde schließlich als Nachbildung wieder errichtet. Da niemand weiß, wo das Original seit fast 80 Jahren geblieben ist, existiert es somit nicht und existiert doch, und zwar im doppelten Sinne: als Nachbildung und als Original an einem unbekannten Ort, solange dessen Existenz nicht widerlegt ist. In diesem Sinne ist das Original da und nicht da, wenn man so will ähnlich „Schrödinger´s Katze“, einem Gedankenexperiment zur Quantenmechanik des Physikers Erwin Schrödinger. Bernstein ist als Harz der Zersetzung ausgesetzt, sobald er seine Lagerstätte in der Erde verlassen hat; so oder so ist es fraglich, was man vom Bernsteinzimmer noch finden würde nach all der Zeit. Das Faktum der Zeit im Bezug auf das Bernsteinzimmer ist auch der Unterschied zur Quantentheorie und lässt es als Paradox gelten. Die Zeitverschiebungen, die für die vorhergehenden Arbeiten im Hugenottenhaus eine Rolle spielten können jetzt auch gelten. Wer weiß, was auf Grund einer fiktiven Zeitverschiebung sich hinter dem zugemauerten Durchgang gerade befindet? Eine Exkursion war letztes Jahr eine mögliche Rettungs-Aktion. Jetzt scheint sich der Ursprung des Bernsteins in Form einer Harz-Quelle dahinter zu befinden. Jedoch erstarrt das Material sofort nach dem Austritt, es übersteht den Zeitsprung nur im verfestigten Zustand und präsentiert sich als künstliche Weiterentwicklung des Naturstoffes Harz.
 

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