SYSTEME, STRUKTUREN

UND MODELLE

 

Zu den eher stillen und konzentrierten Positionen der zeitgenössischen Kunst gehört die Düsseldorfer Malerin Ingrid Flohry, die sich in teils groß dimensionierten Aquarellen mit der zeichnerischen Konstruktion von Raum auseinandersetzt.

Die von ihr erschaffenen Räume, dargestellt zumeist durch Trichter, Kurven oder röhrenförmige Anordnungen, erhalten ihre Dynamik und Tiefe aus einer virtuos angelegten Koloration. Detailreichtum und Arbeitsintensität kennzeichnen den Entstehungszyklus solcher Bilder, der im starken Gegensatz zur Schnelligkeit unseres Zeitalters steht. Hinter dieser künstlerischen Haltung steht ein Bewusstsein, das nicht von ungefähr kommt.

Von Wilhelm Uhlig, dem legendären Nürnberger Bildhauer und Professor der Nürnberger Akademie, hat Ingrid Flohry gelernt, wie man mit Raum und Volumen umgeht, wie man Körper in Dimensionen denken und abbilden kann. Uhlig's Lehre erwies sich für die junge Studentin in den achtziger Jahren als ideales Rüstzeug, um die Studien an der renommierten Düsseldorfer Kunstakademie unter Fritz Schwelger zu vertiefen.

Blickt man auf die Ausbildung bei Fritz Schwelger in jener anregenden Zeit der Düsseldorfer Akademie zurück, ist die weitere Entwicklung nicht verwunderlich. Der Raum als thematische Herausforderung, das 3-Dimensionale, stand hier wie ein ungeschriebenes Gesetz im Vordergrund. Aus den produktiven Jahren dieser Klasse kennen wir beispielsweise Thomas Schütte oder auch Thomas Demand, die den Bezug zur Bildhauerei mit neuen Impulsen versehen haben.

Eingebettet in dieses Umfeld müssen wir die Entwicklung Flohry's betrachten, die sich ihre malerische Welt mit komplexen, realistisch dargestellten Architekturbildern eroberte und ihre Kunst im Laufe der Zeit sozusagen von der formalen Hülle einer rein konventionellen Abbildung befreit hat. Es ist dies eine Reduktion auf den Kern des Raumes, der sich mehr und mehr vom architektonischen Bild verabschiedet und in den Bereich einer wissenschaftlichen, konstruktiv orientierten Darstellung gleitet. Mitunter finden wir die als „Systeme" bezeichneten Bilder nur fragmentarisch angedeutet vor.

Zarte Gitterstrukturen, die im Nichts enden und an kosmologische Skizzen von Astro-Physikern wie Penrose oder Hawking erinnern.

Und durchaus kann man hier Verbindungen sehen - das Fragment dient als Beispiel für einen Raum, der unendlich weiter gedacht werden kann.

In ihren Bildern gelangt Ingrid Flohry zu überraschenden Lösungen. Bereits die Auswahl der Mittel ist ungewöhnlich. Fein pigmentierte Aquarellfarben, die traditionell eher für das kleine Format gelten, werden hier auf meist großen Papierformaten zum Einsatz gebracht, deren Motive fernab von konventionellen Landschaftsskizzen oder etwa Stillleben eingesetzt werden. Im Grunde genommen dringt die Künstlerin mit ihrer eigenen Sprache in einen Raum ein, der der modellhaften Darstellung von wissenschaftlichen Modellen oder architektonischen Studien vorbehalten ist. Ingrid Flohry's Konzentration ist auch nicht auf die Oberfläche gerichtet, sondern beschäftigt sich ausschließlich mit dem Gerüst der „Wirklichkeit", mit der reinen Struktur, die für Physik, Architektur und Kunst gleichermaßen gilt. Der visuelle Reiz ihrer Konstruktionen bildet sich aus dem Aufeinanderprallen zweier Welten; hier der fast romantisch anmutende Charakter des ätherisch - transparenten Aquarellauftrags, dort die geometrisch harte Konstruktion des Raumes in einem dynamischen Gitter. Aus dem Zusammenspiel beider Elemente entstehen letztlich Bilder, die ihren eigenen Kosmos beschreiben: die flüchtigen Visionen eines fiktiven Raumgebildes auf der Demarkationslinie zwischen Kunst und Konstruktion. An diesem Punkt setzen die Bilder eine Schönheit frei, die daran erinnert, dass sich für den Menschen im 21. Jahrhundert die Welt als Einheit darstellt. Das beinhaltet nicht zuletzt die Einsicht, dass sich die Welt als eine Einheit struktureller Systeme nicht mehr in die Gebiete von Wissenschaft und Kunst aufteilen lässt, sondern im Zusammenspiel der Disziplinen erlebbar wird.

HANS IRREK 

 

Ausstellungstext Kreis-Galerie     2015

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