TATORTEN

 

ORTE, TATEN, RESULTATE 

Zamp Kelp im August 1997

  
Die Zahl der Worte, die über das ehemalige Reichsparteitagsgelände in Nürnberg geschrieben worden sind, ist unabsehbar. Wir wissen nicht, wie viele bisher nicht bezogene Positionen in diesem Zusammenhang noch schriftlich ausgearbeitet werden. Insofern ist das Maß an Worten zu diesem Thema noch lange nicht voll. Bezogen auf Raum ist das auch ohne Bedeutung, die Eindimensionalität geschriebener Wortfolgen hat es an sich, dass ihre Menge ohne Wirkung auf das Volumen des Gesellschaftsraumes bleibt. Viel eher erzeugen sie, die Wortfolgen, Bewusstsein in den Menschen, die sie lesen.

Um Bewusstseinsbildung geht es auch in der Auseinandersetzung Ingrid Flohrys mit dem Gelände der Reichsparteitage, die zwingend auch eine Auseinandersetzung mit der unentschuldbaren Schuld des Nationalsozialismus in Deutschland darstellt. Sie versucht die Ursachen für die Tatbestände zu orten, die zu all dem geführt haben, was bis heute unser Gewissen belastet. Nicht das Wort steht hier im Vordergrund, sondern Flohrys konzeptionelle Überlegung, die sich der Bildersprache bedient.

„TAT ORTEN" - der Titel, unter dem die Arbeiten in diesem Zusammenhang stehen, ist eine künstliche Wortkombination aus zwei Teilen und meint zunächst die Suche nach den Ursachen, die zu der großen Effektivität einer politischen Fehlentwicklung führten, mit der wir uns bis heute auseinanderzusetzen haben. Ausgangspunkt ist dabei die Architektur, die dieses Regime produziert und geplant hat. Flohry entwickelt Möglichkeiten, Problemräume auf dem Weg bewusstseinsbildender Strategien wahrnehmbar zu machen, um sie sodann im vergänglichen künstlerischen Akt aufzulösen, verschwinden zu lassen. Die Gestaltung des Raumes wird dabei als ein Vehikel für jene Fakten geortet, die in Form von Untaten wirksam wurden.

In mehreren Arbeiten zu Bauten, Fragmenten und Perspektiven des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes setzt Ingrid Flohry sich mit dem Raumverständnis der Nationalsozialisten kritisch auseinander, geht auf Spurensuche.

Seit die NSDAP gegründet wurde, war der öffentliche Raum, neben Rhetorik und Agitation, das wichtigste Instrument dieser Partei, um sich überzeugend in Szene zu setzen und die Menschen in den unterschiedlichsten Regionen von der eigenen Wirksamkeit zu überzeugen. Temporäre Szenarien aus Gerüsten, Textilien und Spruchbändern bildeten von Anfang an die Basis für zeitlich begrenzte Veränderung des öffentlichen Raumes. Die so projizierten Simulationen von Erneuerung konnten rasch verschwinden, um zu anderer Gelegenheit den Raum frei zu geben für seine neue vorübergehende Prägung.

Dass dieser sehr flexible und elastische Umgang mit Raum strategisch nichts mit dem Parteiprogramm zu tun hatte, zeigte sich nicht zuletzt an der Monumentalität der urbanen Inszenierungen, die versuchten, durch Scheinarchitekturen einem programmatischen Anspruch auf Ewigkeit gerecht zu werden. Dieser Anspruch auf Ewigkeit wurde im Lauf der Entwicklungen, die zur Machtübernahme geführt haben, durch geplante und realisierte Gebäudeformationen im Stadtraum zum Manifest. Zugleich wird aber auch klar, mit welchem Opportunismus das Medium der provisorischen Szenarien im Vorfeld der Entwicklung missbraucht worden war.

Die Bauten des ehemaligen Reichsparteitagsgeländes stehen unter Denkmalschutz und sind teilweise gut erhalten, wie etwa die Tribüne am Zeppelinfeld. Andere sind zum großen Teil überbaut, archäologisch nur mehr aus der Luft wahrzunehmen und insofern bereits dem Prozess der Vergänglichkeit anheimgefallen. Die Arbeiten von Ingrid Flohry zu diesem Gelände signalisieren Entmystifikation und Endzeit. Mit der Unbelastetheit einer Generation, die definitiv aus einer Zeit kommt, die von Weltkrieg und Diktatur nichts mitbekommen hat, macht Flohry Verschwindendes noch einmal bewusst oder neutralisiert mit temporären Installationen den Mythos von Orten, die für einschlägige Gruppen der Gesellschaft zu Gedenkstätten geworden sind.

Ich möchte an dieser Stelle beispielhaft auf eine ihrer Arbeiten eingehen, die sich mit dem deutschen Stadion von Albert Speer auseinandersetzt. Ingrid Flohry schreibt dazu: "Das deutsche Stadion war von Albert Speer als Austragungsort sportlicher Darbietung geplant worden. 

Es sollte 400 000 Menschen fassen, die Gesamthöhe sollte 82 m betragen. Bei Kriegsende war die Baugrube vorhanden, die bereits mit Grundwasser gefüllt war. Diese bildete den heutigen Silbersee. Ebenfalls auf dem Grundriss des Stadions befindet sich der Silberbuck, der aus Bauschutt nach dem Krieg aufgetragen wurde. Das an das Messegelände angrenzende Areal ist heute Teil eines Naherholungsgebietes, und von dem gigantischen Vorhaben ist nichts mehr zu ahnen.

Um hier ein Zeichen zu setzen, welches auf die Geschichte aufmerksam macht, ist zum einen eine Installation geplant, die sich auf dem höchsten Punkt des Silberbucks befindet. Sie besteht aus einem schlichten, etwa 36 m hohen Stab, dessen oberes Ende eine kleine Kugel bildet und die obere Höhenlinie des ehemals geplanten Stadions bezeichnet. Weiterhin ist von mir an eine temporäre Aktion gedacht, die sich ebenfalls mit der enormen Größe des deutschen Stadions befaßt. So sollte sich die Größenordnung auch verdeutlichen lassen, indem ein Modellflugzeug den Grundriss in geplanter Gebäudehöhe fliegend kennzeichnet. Kleine, vom Flugkörper erzeugte Wolken sollen den zurückgelegten Weg einige Zeit lang sichtbar lassen."

Als mir Ingrid Flohry vor einigen Tagen diese Arbeit erläuterte, erzählte ich ihr von den heißen Sommertagen in New York, an denen Formationen von Propellerflugzeugen Worte und damit verbundene Botschaften an den Himmel schreiben, die entsprechend der herrschenden Windstärke und Luftfeuchtigkeit mehr oder weniger schnell deformieren und verschwinden. Sie kannte dieses Phänomen zeitgemäßer Urbanität noch nicht, das die Realisierbarkeit ihrer Arbeiten doch so eindrucksvoll dokumentiert. Dem historischen Anspruch eines totalitären Regimes, das sich auch gerne tausendjährig nannte, setzt Ingrid Flohry die reduktive Vergänglichkeit ihrer Konzeptionen entgegen, die uns das Bewusstsein vermitteln: "es muß endgültig vorbei sein."

 

 

TATORTEN
Herzogenauracher Kulturtage  1997

 

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